Otto Normal denkt und handelt?
Datum: Sonntag, 02. Februar 2003 um 22:47
Thema: Weltpolitik


Kommentar zum wohlig-taumeligen Verhalten unserer Gesellschaft gegenüber dem möglichen Krieg gegen den Irak

Ich bin ein typisches "Münchner Kindl". Jung, dynamisch, akademisch gebildet. Ich arbeite in einer amerikanischen Computerfirma. Natürlich kann ich auch einen BMW mein Eigen nennen und warte voller Ungeduld auf meinen Gardasee Urlaub im Mai. Ich verdiene überdurchschnittliche und wohne in einer Eigentumswohnung im Zentrum Münchens. Ich bin also rund um glücklich und zufrieden. Als guter Staatsbürger verpasse ich keine Tageschau Sendung und schüttele den Kopf beim Anblick der Probleme dieser Welt und schimpfe über die Pläne der Bundesregierung bevor ich auf die Live Übertragung des Championsleaguespiels des FC Bayern umschalte. Doch zur Zeit ist da etwas das mich nicht loslässt. Dieser Krieg gegen den Irak. Obwohl er doch weit weg ist, er beschäftigt mich. Aber wieso eigentlich? Was ist das für ein Gefühl in mir? Ist das Angst? Vor was muss ich Angst haben? Der Krieg ist doch weit weg! Dieser Bush, dieses Amerika! Ich verstehe das nicht! Wie konnte es soweit kommen? Ich zermartere mir den Kopf, aber finde keine Antwort. Ich habe doch studiert! Wieso finde ich keine Antwort? Ich durchsuche das Internet nach Antworten, wieso niemand diesen Krieg verhindert. Wofür haben wir denn unsere Politiker. „Weltethos und Weltpolitik“ – Hans Küng wird der Göttinger Friedenspreis übereicht“. Friedenspreis klingt interessant. Ich durchforste seine Rede nach Antworten. Er spricht von „postmodernistischen Beliebigkeitspluralismus der Gesellschaft“. Meint er mich damit? Er hat Recht! Ich bin mir wirklich selbst der Nächste. Solange es mir gut, bin ich zufrieden. Aber will er etwa damit sagen, dass ich auch einen Anteil an diesem Krieg habe? Ich verhalte mich doch unauffällig und bin ein guter Demokrat.
Es ist Samstag. Zeit für Wochendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Aufgeschreckt von meinen Gefühlsregungen unter der Woche, frage ich mich, wie eine Gesellschaft diesen George W. Bush und seine Junta an die Macht kommen lies. Ich widme mich dem Teil „Kultur, Gesellschaft, Unterhaltung“. Aha, ein Artikel von Herbert Riehl-Heyse über Bush und den bevorstehenden Irakkrieg. Mal sehen vielleicht finde ich hier etwas. Er zitiert Nietzsche und Max Weber über die „Beschaffenheit von Führern“. „Dick Cheney hat Zeit seines Lebens seine Sozialisation mit Vorstands-Kollegen und Konkurrenten aus Ölkonzernen erlebt, die man, unter massivem Einsatz der Ellenbogen, entweder beeindruckt, überholen oder aus dem Geschäft drängen musste“. Bei diesen Zeilen muss ich leicht schmunzeln und denke mir, „das kennste auch aus deiner eigenen Firma“, doch im gleichen Moment werde ich kreidebleich „ bedeutet das, dass ich schon wieder Mitschuld an diesem bevorstehenden Krieg habe?“ Mir schießt der Satz „Jede Gesellschaft erhält die Führer, die sie verdient“ durch den Kopf. Mein Wertesystem, mein Handeln tragen also mit zu dieser Tragödie bei. NEIN! Das will ich nicht. Aber was kann ich tun? Ich kann die Gesellschaft doch nicht alleine ändern. In diesem Moment erinnere ich mich an eine Veranstaltung: "Nein zum Krieg gegen den Irak – Ja zu Frieden und Abrüstung": Kundgebung auf dem Odeonsplatz in München. Mir kommt der Anspruch „Mehr Demokratie wagen“ von Willi Brandt in Sinn und beschließe am Samstag auf die Kundgebung zu gehen.

Quellen:
SZ vom 1./2. Februar
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Friedenspreise/kueng2.html





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