Das Kapital oder Hartzer Auge, sei wachsam !
Datum: Mittwoch, 24. Juli 2002 um 13:42
Thema: Probleme & Lösungen der Gesellschaft


Das Auge des VW-Managers Hartz hat die Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger in Deutschland entdeckt. Was für ein Manko? In einem so reichen Industrieland wie Deutschland ca. 4 Millionen Arbeitslose? Das ist doch ein Markt, eine Goldgrube für jeden, der es versteht, diesen Markt für sich vorteilhaft auszubeuten! Herr Hartz und seine Kommission haben einige Ideen, wie man das anstellen kann.

Arbeitslose sind ein Kapital, das arbeiten soll. Das Angebot ist mit ca. 4 Millionen enorm (Grauzone ca. 6 Millionen, laut jahrelanger Statistikfälscher-Erfahrungen liegen wir Gott sei Dank heute bei real 3,9 Millionen?), nur die Nachfrage ist gering. Die logische Konsequenz ist, den Markt mit Hilfe staatlicher Lenkung wieder auf die richtige Schiene zu bringen, dann läuft das Ganze wie von selbst.

Also schmeißen wir Arbeits- und Sozialamt zum Jobcenter zusammen, Arbeitslose werden automatisch Leibeigene in Form von Angestellten des Jobcenters und rotationsartige, zeitlich begrenzte Ausleihartikel für alle zumutbaren und unzumutbaren Beschäftigungen, Arbeiten für `n Appel und ein Ei, Qualifikation egal. Bundesweiter Einsatz mit dem Hintergrund der kostenlosen Weiterbildung in Geografie und Erweiterung der Sprachkenntnisse. Wer Deutschland kennt, kennt die Welt. Wer sich weigert, dem wird das Geld gestrichen. Die Peitsche für den arbeitslosen Angestellten, das Zuckerbrot für die Unternehmer als Ausleiher. Wer sich Arbeitslose - je nach vorangegangener Dauer der Arbeitslosigkeit - ausleiht, kann schon heute bis zu 80 % der Lohnkosten vom Arbeitsamt kassieren. Wie viel wird es in Zukunft sein? Auf jeden Fall immer noch ein lukratives Subventionsgeschäft für den Unternehmer als Ausbeuter, ein bodenloser Missbrauch der Arbeitslosenversicherung als Solidarprinzip bei Eintritt der Arbeitslosigkeit des einzelnen Individuums, um seine Existenz bis zur Wiederaufnahme einer Tätigkeit finanziell zu sichern.

Wenn dieses Prinzip der künstlich geschaffenen Dumping-Sklavenarbeitsplätze Schule macht, ist die Frage nach der Vernichtung von bereits existierenden Arbeitsplätzen nicht fern. Welcher Unternehmer wird einen arbeitslosen Zeitausgeliehenen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernehmen, wenn er sich x-beliebig neue Leibeigene aus den Reihen der Angestellten des Jobcenters mit den gleichen vorteilhaften Konditionen rekrutieren kann? Wo sind neue Arbeitsplätze bei diesen horrenden Lohnzuschüssen entstanden oder werden entstehen?
Falls das Rotationsprinzip der zeitweise Ausleihe nicht funktioniert, setzt die Scheinselbständigkeit ein. Nichts Neues, seit Jahren gibt es schon Förderprogramme für sich selbständig Machende. Was haben die bis heute gebracht? Der arbeitslose Angestellte kann sich selbständig machen, so scheint es. Sein Vertrag mit dem Jobcenter endet und der Weg zur nächsten Bank ist frei. Es wird sich mit Sicherheit eine kluge Bank finden, die den hohen Risikofaktor "keine Sicherheiten vorhanden" am Kapitalmarkt gewinnbringend umsetzt und sei es beim Finanzamt der geplatzte Kredit, der als Verlust zu 100 % steuermindernd abgesetzt werden kann. Der geplatzte Scheinselbständige hat nichts zum Absetzen, außer sich selbst im nächsten Jobcenter und die Mühle mahlt von neuem.

Die Beweislast über die Zumutbarkeit einer Tätigkeit liegt in Zukunft beim arbeits- und rechtlosen Angestellten. Vielleicht putzt ein Diplom-Ingenieur Pissoirs, Ärzte und Krankenschwestern ersetzen polnische Erntehelfer in der Landwirtschaft, Akademiker setzen als Zivilstreife die Landeshundeverordnungen durch und garantieren Leinen- und Maulkorbzwang für Hund und Halter, ausrangierte Politiker vernichten Wohlstandsmüll in spendenskandalumwitterten Müllverbrennungsanlagen (die Zumutbarkeit der Tätigkeit wird nicht in Frage gestellt), da sie wegen ihrer äußerst hervorragenden Qualitäten - Händchen auf, alles in den Ofen rein, Beweise für Schweinereien legal und diskret entsorgt - besonders geschätzt werden. Die Jobcenter sind zuversichtlich, den überdurchschnittlich hohen Bedarf nach der Wahl befriedigen zu können.

Wer nach längerer Zeit immer noch nicht vor den Augen ausleihender Unternehmer Gnade und einen Job findet, wird sich dann mit einem Sozialgeld begnügen. Heute ist es so, das für Sozialhilfeempfänger keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt werden und somit auch keine Rentenansprüche bestehen. Wird es mit dem Sozialgeld auch so sein?

Stellen Sie sich vor, Sie sind über 50, haben 30 Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und ihren Job durch Firmenpleite verloren (aktuelles Beispiel Photo Porst). Die Aussicht auf Vermittlung eines Jobs, denn heute gilt man ja schon mit 35 als zu alt für Unternehmer, sind gleich Null. Sie erhalten Sozialgeld, aber Rentenbeiträge werden nicht abgeführt. Das werden Sie dann wohl selbst tun, wenn Sie es sich bei der Höhe des Sozialgeldes leisten können. Wie wird Ihre Altersrente mit 65 aussehen? Auch hier hat Vater Staat die richtige, eigenverantwortliche Lösung parat - auf staatlich geförderte Riesterrente vertrauen, auf Sand bauen.

Wer wird sich an diesen Kostendämpfungen gesundstoßen? Der Staat, der sich aus seiner sozialen Verantwortung für den Bürger stiehlt? Der Großunternehmer, dem die Lohnkosten für ausgeliehene Arbeitslose in den Rachen geworfen werden und der seine soziale Verantwortung für die Gemeinschaft schon seit Jahrzehnten beim Pförtner abgegeben hat? Wer zahlt denn die meisten Steuern in Deutschland? Die kleinen Bürger, kleine und mittelständische Unternehmen.

Kleiner Trost am Rande, als Sozialhilfeempfänger werden Sie schon heute als Privatpatient behandelt.

Als arbeitsloser Angestellter des Jobcenters haben Sie einen Anspruch, den Ihnen keiner streitig machen kann, das Chippen. Die Chipkarte, das kleine, niedliche Teilchen, auf denen all Ihre persönlichen und unpersönlichen Daten gespeichert sind und die Sie bitte stets bei sich tragen und jedem zeigen, der sie verlangt. Somit ist die Transparenz des Individuums für das Jobcenter chipklar gewährleistet und die Frage nach Datenschutz stellt sich nicht.

Vielleicht kann bei all diesem revolutionären Gedankengut endlich eine Ungerechtigkeit, die seit vielen Jahrzehnten gegenüber Arbeitslosen besteht, abgebaut werden, nämlich die widerrechtliche Erhebung und Abführung von Kirchensteuer nicht kirchlich gebundener Arbeitsloser. Was mit diesen Geldern passiert, ist bis heute unklar. Kann es sein, dass es nach Kirchensteuerspendenskandal riecht?

Nur ein kleiner, kommentierter Auszug aus dem Ideenkatalog des Herrn Hartz "Arbeitslose als Kapitalmarktmacht". Wie hätte es auch anders sein können? Herr Hartz als Vorsitzender der Kommission ist ein Vertreter des Großkapitals und bei der Höhe seiner Bezüge wird er mit Sicherheit nicht in den Genuss dieser Hirngespinste und deren Folgen kommen. Nach dem Motto "kleines Arschloch mach den Buckel krumm, schufte still und leide stumm".

Die spanischen Arbeitnehmer sind dieses Problem - geplante Kürzung der Arbeitslosenansprüche durch die Regierung - mit landesweitem Generalstreik angegangen. Falls das Thema immer noch nicht vom Tisch ist, wird sich Spanien auf noch viele landesweite Generalstreiks freuen können, die Spanier lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen, sie sind ein sehr streikbares Völkchen. In Deutschland ist darüber wenig berichtet worden. Aus gutem Grund, stellen Sie sich mal vor, in Deutschland wäre landesweiter Generalstreik? Ja, was dann?

Jeder Wähler von heute kann der Arbeitslose von morgen sein. Viel Spaß dann beim Spiel "im Jobcenter gibt`s offene Stellen und jeder kann frei wählen". Wir sehen uns.





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