Lupe auf Italiens geändertes Wahlrecht
Datum: Montag, 16. Januar 2006 um 00:19
Thema: Politische Systeme im Vergleich


Italien steht vor einem Meilenstein seiner Geschichte, vor den Wahlen im Frühling 2006 – unter geänderten Bedingungen.

Rechtzeitig vorher hat Ministerpräsident Berlusconi das Wahlrecht grundlegend geändert, aus eigennützigen Gründen, denn seine Wiederwahl stand in Frage. Insofern könnten Kritiker die Änderung des Wahlrechts als einen “demokratischer Unfall” bezeichnen. Das neue Wahlrecht, dass eigentlich ein altes ist, wurde verfassungsmäßig legitim durchgepresst. Da half kein Hochhalten von Schildern der parlamentarischen Opposition: das Verhältniswahlrecht ist wieder eingeführt und eine Wahl Prodis unwahrscheinlicher gemacht. Würde wider Erwartung eine Koalition “Casa delle Libertà” nicht mehr gewinnen, sondern ein Linksbündnis, hätte das neue Wahlrecht nur kurz bestanden.

Dabei ist erst 1994 das Wahlrecht in Italien reformiert worden. Zahlreiche Regierungswechel und die Fragmentierung der Parteien bewogen die politischen Eliten dazu, mit einer Wahlrechtsreform, nämlich der Einführung des kompensierten Verhältniswahlrechts (ein großer Teil der Parlamentarier wird durch Mehrheitswahlrecht gewählt) die Regierungen zu stabilisieren, die Flügel zu schwächen und die politische Mitte zu stärken. Der Erfolg hält sich in Grenzen. Weiterhin sind die Flügel stark und weit rechts und links positionierte Parteien konnten sich halten.

Mit der Wiedereinführung des Verhältniswahlrechts ist eine erneute Fragmentierung des Parlaments zu erwarten. Die Sperrklauseln liegen bei zwei oder bei vier Prozent. Die Wahlen werden stärker personalisiert: kleinere Parteien müssen sich vor dem eigentlichen Wahlvorgang auf einen Spitzenkandidaten festlegen. Ein Kuriosum ist des geänderten Wahlrechts gab es auch vor 1994 nicht: der Gewinnerpartei sind 60 Sitze mehr im Parlament durch das neue Wahlrecht garantiert (Prämiensitze - “winner gets extra”). Der Hintergedanke ist, dass man durch die zusätzlichen Stimmen der Regierung und der Mehrheit im Parlament das Regieren vereinfachen möchte, denn durch das Verhältniswahlrecht und die vergleichsweise niedrigen Sperrklauseln werden mehr kleine Parteien in das Parlament einziehen.

Der Ministerpräsident Berlusconi argumentierte, dass das Verhältniswahlrecht demokratischer sei, da die Wählerschaft im Parlament abgebildet wird. Das Argument wird durch die Prämiensitze relativ egalisiert. An das Volk dachte Berlusconi ganz bestimmt nicht zuerst, aber bewiesen hat er aufs Neue, dass er viel bewegen kann. Der Oppositionsführer Romano Prodi traut dem Ministerpräsidenten noch mehr zu und hält ihn keineswegs für einen lupenreinen Demokraten. Von Gerichten wurden Freisprüche erteilt, von der Opposition anscheinend nicht. Das Volk lässt in drei Monaten die Würfel fallen.





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