Untergang der Estonia - Aktenzeichen nicht endgültig gelöst
Datum: Dienstag, 01. März 2005 um 11:45
Thema: Skandale & Bananen


In der Nacht vom 27. auf den 28. September 1994 sank die Ostseefähre Estonia aus nicht endgültig geklärten Gründen innerhalb 30 Minuten. 852 Menschen wurden mit in den Tod gerissen, 137 Menschen überlebten. Das Wrack, welches die schwedische Regierung schon ungehoben einbetonieren lassen wollte, liegt 80 Meter unter Meeresspiegel auf Grund.

Wenige Tage nach dem Untergang wurde eine Untersuchungskommission berufen, offiziell unter dem Vorsitz Estlands, inoffiziell soll Schweden die Fäden in der Hand gehabt haben. Es wurde ein vorläufiger Bericht herausgegeben, 1997 ein endgültiger, der nur wenige Änderungen aufwies. Den Unfall führte die Kommission auf Konstruktionsfehler und schlampige Wartung zurück. Doch die Berichte stiessen auf Zweifel und Entrüstung. Es wurden Dokumente gefälscht, wichtige Zeugen wurden ausser Acht gelassen oder in ihren Aussagen manipuliert. Die Kommission hat Papiere vorliegen, die der Estonia einen guten Zustand ausstellten, obwohl sie tatsächlich im schlechten Zustand war. Auch Ladelisten wurden gefälscht: noch kurz vor Abfahrt wurden zwei LKWs von uniformierten Militärs zur Laderampe gebracht, doch tauchten diese LKWs in den Ladelisten nicht auf. Der mittlerweile pensionierte Zolloffizier Lennart Henriksson liess die Bevölkerung Schwedens im Dezember 2004 wissen, dass der schwedische Zoll über die Militärtransporte informiert und dazu angewiesen war, bestimmte Fahrzeuge beim Verlassen der Fähre nicht zu kontrollieren.

Es ist richterlich bestätigt, dass die Estonia wiederholt für Militärtransporte benutzt worden ist, so auch am 14. und am 21. September. Zu ermitteln ist, ob neben dem schwedischen Militär auch andere Staaten die Estonia für Militärtransporte genutzt haben. Der ranghöchste Richter Schwedens hat einige Dokumente des schwedischen Militärs bekommen, doch die höchste Geheimhaltungsstufe für die Dokumente verpassen ihm einen Maulkorb: erst nach 70 Jahren können diese Dokumente freigegeben werden – eine Zeitspanne, in der jeder klardenkende Zeuge gestorben ist. Der Maulkorb für die Justiz beschäftigt Angehörige der Parlamente Estlands und Schwedens.

Damit nicht genug. Für Aufsehen sorgen auch die verschwundenen Überlebenden. Das Logbuch eines Rettungshubschraubers beweist, dass der zweite Kapitän des Schiffes, Avo Pith, mit weiteren sieben Überlebenden und einem Toten nach dem Untergang in ein Krankenhaus geflogen worden sind. Seitdem sind sie jedoch absolut spurlos verschwunden. Angehörige erwägen nun den Schritt der Anklage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verschleppung.

Von einigen überlebenden Zeugen wird von ohrenbeteubenden Knallgeräuschen berichtet. Die Frage war damit aufgeworfen, ob es sich um Explosionen handelte. Die Berliner TV-Journalistin Jutta Rabe widmete acht Jahre den Recherchen zu dem Untergang der Estonia und ging den Berichten der Überlebenden nach. Sie organisierte im Jahr 2000 eine Tauchexpedition, um unabhängigen Instituten Stahlproben zukommen zu lassen. Die schwedische Küstenwache konnte diese Expeditionen nicht verhindern, da die Fähre in internationalen Gewässern liegt. In Schweden wurde gegen die Journalistin ein Haftbefehl ausgestellt. Drei von vier Instituten kamen nach Untersuchungen zu dem Schluss, dass es sich bei den lauten Knallgeräuschen um Detonationen gehandelt hat, von den Dreien zogen zwei ihre Befunde zurück: das Materialprüfungsamt des Landes Brandenburg und das Southwest Research Institute im texanischen San Antonio räumten 2001 ein, dass die untersuchten Teile keine Hinweise auf Explosionen geben. Rätselhaft bleibt weiterhin das rapide Absinken der Fähre.

Eine ernstgemeinte öffentliche Klärung der Umstände und Gründe für den Untergang der Autofähre Estonia ist überfällig, auch wenn durch Eingeständnis Militärs und Behörden einen Gesichtsverlust hinnehmen müssten. Das internationale Interesse an der genauen Aufklärung an dem Unglück ist klein und das sollte Aufsehen erregen.





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