Angezeigtes Thema: 'Eher maessige Kritiken fuer Inszenierung 'Die FDP und der Zentralrat'.'
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Von: huflaikhan (Rang: Regular)   Beiträge: 111
Mitglied seit: 09.02.2002
Geschrieben am: 20.06.2002 um 19:17 (2922 mal angezeigt)   (Aktuell gewählter Beitrag)
Am 2002-06-20 15:38 hat Bodo geschrieben:

Aber wuerdest Du sagen, dass im Fall Jenninger der Eindruck entstanden ist, dass in Deutschland ein unverkrampfer, offener und dem Zusammenleben förderlicher Umgang mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus stattfindet?
Und wenn du meinst, dass dies nicht so ist: Meinst Du, das hat sich in den letzten 14 Jahren verbessert?

Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstanden habe. Außerdem bin ich da parteiisch. Ich denke, dass in Teilen der Geschichtswissenschaft durchaus ein offener und unverkrampfter Umgang mit der Geschichte des "Dritten Reiches" stattfindet. Ob das dem Zusammenleben förderlich ist, kann ich nicht beurteilen. Da habe ich keine Daten.

Dass es Unterschiede in der Interpretation geschichtlicher Daten gibt, ist klar. Und da war Jenninger zum Beispiel anders gestrickt der eloquente Weizsäcker.

Jenninger betonte eine Form der Kollektivschuld (so in seiner Rede am 8. Mai 1985): "Es bleibt wahr, daß Hitler eine Mehrheit der Deutschen in freien Wahlen niemals hinter sich gebracht hat. Wahr ist aber auch, daß 1938 die überwältigende Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand und daß das deutsche Volk sich - teils widerwillig, teils mit Begeisterung - von ihm blenden und verführen ließ."

Zum andern Teil der Frage, die ich nur subjektiv beurteilen kann: Dass es einmal in Deutschland zu einer Diktatur der Nationalsozialisten kam mit all seinen unheilbringenden Folgen, die zum Teil weder durch Gefühl noch Verstand rationalisierbar sind, hat für mich selbstverständlich den modernen kategorischen Imperativ zur Folge, dass dergleichen sich nicht wiederholen darf.

In den letzten vierzehn Jahren ist vor allem aber eines problematisch wie ganz natürlich: Die Generation der unmittelbar Betroffenen wird an Anzahl immer kleiner, im gleichen Maße wächst eine Rationalität der Distanz, die aber nicht, wie man es sonst positiv berwerten könnte, den Zugang erleichtert, sondern ihn erschwert. Das menschlich nicht Ermessbare und Unvorstellbare kann von den Nachgeborenen nicht mehr nacherlebt werden. Dadurch kann es schnell nur noch zu einem "Problem" herabgehandelt werden. Der Nationalsozialismus des "Dritten Reichs" ist aber meines Erachtens kein "Problem" (das sich beliebig lösen ließe) sondern der pure totbringende Schrecken.

Am einfachsten hatten es da noch die Analytiker der damaligen Gegenwart wie Franz Neumann, dessen Buch "Behemoth - Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944" 'nur" die politische und organisatorische Struktur des Nationalsozialismus untersuchen konnte. Ein Buch, dass absolut unverkrämpft und offen ist. Erstausgabe 1942, dann ergänzt 1944. Erschienen in den USA, aber erst 1963 in deutscher Sprache, gleichwohl in den USA erschienen.

Zusatz: Nun könnte man ja meinen, dass durch die Distanz der Jüngeren zur Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts endlich die Begriffe wie "Auschwitz", "Menschenvernichtung" entzaubern könnte, gerade weil es nicht mehr die emotionale Direktverbindung gibt.

Dann möchte ich aber darauf hinweisen, dass mit dem gefühlten Schrecken auch eine unbedingte Reflexion des Denkens einherging. Wenn Habermas zum Beispiel schreibt: "Auschwitz ist ein Hindernis, nicht weil dadurch eine Art Schuldhuberei zustande kommt, sondern weil es eine ganze Bevölkerung gleichsam unter einen Reflexionszwang setzt, der naive Abgrenzungen nach außen und potentielle Ausgrenzungen innerer Feinde mindestens schwieriger macht." (Habermas, Eine Diskussionsbemerkung, in: ders.; Ein Art Schadensabwicklung, Frankfurt 1987).

Die Frage ist eben, um ein letztes Mal auf deine Frage zurückzukommen, was man unter unverkrampft und offen verstehen will. Wenn es daraufhinausläuft, das Geschehene zu "normalisieren", dann hoffe ich es nicht. Wenn es bedeutet, dass man es nicht als Zwang empfindet, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, dann finde ich es wünschenswert.

Leider glaube ich, dass es mittlerweile schon als Zwang aufgefasst wird, quasi als Selbstschutz, weil man den Umgang mit der Zeit einfach fürchtet.

Lange Rede,
h.

_________________
Nizza, den 24. November 1887

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Von: Bodo (Rang: Moderator)   Beiträge: 2722
Mitglied seit: 13.01.2002
Geschrieben am: 20.06.2002 um 22:51 (2856 mal angezeigt)   ( 1. Antwort auf aktuellen Beitrag)   Diesen Beitrag als Aktuellen nehmen
Am 2002-06-20 19:17 hat huflaikhan geschrieben:

Die Frage ist eben, um ein letztes Mal auf deine Frage zurückzukommen, was man unter unverkrampft und offen verstehen will. Wenn es daraufhinausläuft, das Geschehene zu "normalisieren", dann hoffe ich es nicht. Wenn es bedeutet, dass man es nicht als Zwang empfindet, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, dann finde ich es wünschenswert.

Ich meinte keines von beiden. Ich weiss aber leider auch nicht, wie ich das, was in meinem Kopf herumspuckt, so ausdruecken soll, dass es auch ausserhalb verstaendlich ist.
Mein Eindruck ist einfach (und den hab ich nicht erste sein Moellemann), dass man sich in Deutschland nicht oeffentlich zum Holocaust auessern kann, ohne dabei eine Hysterie innerhalb der eigenen Berufsklasse (insbesondere gilt das fuer Politiker) auszuloesen. Ich weiss nicht, woher das kommt. Ich vermute, man hat Angst etwas falsches zu sagen, steht aber gleichzeitig unter dem Zang etwas sagen zu muessen. Ich glaube das, weil diese Auseinandersetzungen stets sofort vom eigentlichen Thema weggehen und persoenliche Streigkeiten zwischen den beteiligten Personen daraus werden.

Du sagst, die Aufarbeitung hat zumindest unter den Historikern stattgefunden. Das mag stimmen. Aber das ist nicht der Ort, wo eine wirksame Aufarbeitung noetig ist. Der Ort, wo man sie braucht, ist die Gesellschaft selbst und dort muss sie von der Politik mtgetragen werden.
Aufarbeiten heisst eben nicht nur, Denkmaeler aufzustellen, Namenlisten von Opfern zu sammeln und betroffene Reden zu Eroeffnungen von Mahnstaedten zu halten, sondern dass heisst vor allem, im Dialog miteinander zu reden. Auch mit unterschiedlichen Meinungen! Und das ist imho in unser Oeffentlichkeit immer noch nicht moeglich.
Andere haben diesen Eindruck nicht, aber das laesst sich wohl mit Argumenten nicht eroerten.

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