Angezeigtes Thema: 'Eher maessige Kritiken fuer Inszenierung 'Die FDP und der Zentralrat'.'
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Von: Bodo (Rang: Moderator)   Beiträge: 2722
Mitglied seit: 13.01.2002
Geschrieben am: 20.06.2002 um 15:38 (2889 mal angezeigt)   (Aktuell gewählter Beitrag)
Am 2002-06-20 14:47 hat huflaikhan geschrieben:

Und ich hab nicht den Eindruck, als habe sich das seit 88 veraendert.
Offenbar kam die einzigste positive Bewertung ausgrechnet vom stellvetretenden Vorsitzenden des Zentralrats. Der dann dafuer auch noch von seinem Vorsitzenden rausgeschmissen wurde.
Was ist denn das fuer eine erbaermliche Art der Vergangenheitsbewaeltigung, bei der ein Vetreter der Opfer die Taeter davon abhalten muss, ueber einen der Ihren, der vermeintlich boeses gesagt hat, herzufallen?

Das ist wirklich nicht mein Problem, wenn dort Interna so verhandelt werden.

Meines auch nicht. Da haben ich weder Schaden noch Freude dran.

Aber wuerdest Du sagen, dass im Fall Jenninger der Eindruck entstanden ist, dass in Deutschland ein unverkrampfer, offener und dem Zusammenleben förderlicher Umgang mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus stattfindet?
Und wenn du meinst, dass dies nicht so ist: Meinst Du, das hat sich in den letzten 14 Jahren verbessert?


[ Geändert von Bodo am 20.06.2002 ]

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Von: huflaikhan (Rang: Regular)   Beiträge: 111
Mitglied seit: 09.02.2002
Geschrieben am: 20.06.2002 um 19:17 (2927 mal angezeigt)   ( 1. Antwort auf aktuellen Beitrag)   Diesen Beitrag als Aktuellen nehmen
Am 2002-06-20 15:38 hat Bodo geschrieben:

Aber wuerdest Du sagen, dass im Fall Jenninger der Eindruck entstanden ist, dass in Deutschland ein unverkrampfer, offener und dem Zusammenleben förderlicher Umgang mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus stattfindet?
Und wenn du meinst, dass dies nicht so ist: Meinst Du, das hat sich in den letzten 14 Jahren verbessert?

Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstanden habe. Außerdem bin ich da parteiisch. Ich denke, dass in Teilen der Geschichtswissenschaft durchaus ein offener und unverkrampfter Umgang mit der Geschichte des "Dritten Reiches" stattfindet. Ob das dem Zusammenleben förderlich ist, kann ich nicht beurteilen. Da habe ich keine Daten.

Dass es Unterschiede in der Interpretation geschichtlicher Daten gibt, ist klar. Und da war Jenninger zum Beispiel anders gestrickt der eloquente Weizsäcker.

Jenninger betonte eine Form der Kollektivschuld (so in seiner Rede am 8. Mai 1985): "Es bleibt wahr, daß Hitler eine Mehrheit der Deutschen in freien Wahlen niemals hinter sich gebracht hat. Wahr ist aber auch, daß 1938 die überwältigende Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand und daß das deutsche Volk sich - teils widerwillig, teils mit Begeisterung - von ihm blenden und verführen ließ."

Zum andern Teil der Frage, die ich nur subjektiv beurteilen kann: Dass es einmal in Deutschland zu einer Diktatur der Nationalsozialisten kam mit all seinen unheilbringenden Folgen, die zum Teil weder durch Gefühl noch Verstand rationalisierbar sind, hat für mich selbstverständlich den modernen kategorischen Imperativ zur Folge, dass dergleichen sich nicht wiederholen darf.

In den letzten vierzehn Jahren ist vor allem aber eines problematisch wie ganz natürlich: Die Generation der unmittelbar Betroffenen wird an Anzahl immer kleiner, im gleichen Maße wächst eine Rationalität der Distanz, die aber nicht, wie man es sonst positiv berwerten könnte, den Zugang erleichtert, sondern ihn erschwert. Das menschlich nicht Ermessbare und Unvorstellbare kann von den Nachgeborenen nicht mehr nacherlebt werden. Dadurch kann es schnell nur noch zu einem "Problem" herabgehandelt werden. Der Nationalsozialismus des "Dritten Reichs" ist aber meines Erachtens kein "Problem" (das sich beliebig lösen ließe) sondern der pure totbringende Schrecken.

Am einfachsten hatten es da noch die Analytiker der damaligen Gegenwart wie Franz Neumann, dessen Buch "Behemoth - Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944" 'nur" die politische und organisatorische Struktur des Nationalsozialismus untersuchen konnte. Ein Buch, dass absolut unverkrämpft und offen ist. Erstausgabe 1942, dann ergänzt 1944. Erschienen in den USA, aber erst 1963 in deutscher Sprache, gleichwohl in den USA erschienen.

Zusatz: Nun könnte man ja meinen, dass durch die Distanz der Jüngeren zur Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts endlich die Begriffe wie "Auschwitz", "Menschenvernichtung" entzaubern könnte, gerade weil es nicht mehr die emotionale Direktverbindung gibt.

Dann möchte ich aber darauf hinweisen, dass mit dem gefühlten Schrecken auch eine unbedingte Reflexion des Denkens einherging. Wenn Habermas zum Beispiel schreibt: "Auschwitz ist ein Hindernis, nicht weil dadurch eine Art Schuldhuberei zustande kommt, sondern weil es eine ganze Bevölkerung gleichsam unter einen Reflexionszwang setzt, der naive Abgrenzungen nach außen und potentielle Ausgrenzungen innerer Feinde mindestens schwieriger macht." (Habermas, Eine Diskussionsbemerkung, in: ders.; Ein Art Schadensabwicklung, Frankfurt 1987).

Die Frage ist eben, um ein letztes Mal auf deine Frage zurückzukommen, was man unter unverkrampft und offen verstehen will. Wenn es daraufhinausläuft, das Geschehene zu "normalisieren", dann hoffe ich es nicht. Wenn es bedeutet, dass man es nicht als Zwang empfindet, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, dann finde ich es wünschenswert.

Leider glaube ich, dass es mittlerweile schon als Zwang aufgefasst wird, quasi als Selbstschutz, weil man den Umgang mit der Zeit einfach fürchtet.

Lange Rede,
h.

_________________
Nizza, den 24. November 1887

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