Angezeigtes Thema: 'Eher maessige Kritiken fuer Inszenierung 'Die FDP und der Zentralrat'.'
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Von: Kunstguerilla (Rang: Moderator)   Beiträge: 508
Mitglied seit: 13.01.2002
Geschrieben am: 08.06.2002 um 10:44 (3003 mal angezeigt)   (Aktuell gewählter Beitrag)
Hi!

Am 2002-06-07 11:53 hat Bodo geschrieben:

Das ist natuerlich eine viel schwierigere Frage als die, wer das Pech hat zu den Betroffenen zu gehoeren.
Ich denke, der Hass ensteht vor allem aus der Unzufriedenheit mit der eigenen Situation. Menschen, die zufrieden und ausgeglichen sind, neigen eher nicht dazu Aggressionen gegen ihre Mitmenschen auszubauen.

Schon. Ok, ich verstehe (psychologisch, sonst nicht), dass ein wenig Intelligenter "den" Türken hasst, weil er mit ihm auf dem Arbeitsmarkt konkurriert (meint der Dumme und Uninformierte - Ausländer schaffen und sichern Arbeitsplätze im selben Maße, wie sie auch Arbeit "nehmen"). Aber wie kommt der Hass auf Juden zustande?
Historisch wurden die Juden zum Sündenbock im christlichen Europa durch vielerlei. Durch die schwachsinnige Agitation der katholischen Kirche, Juden hätten den Heiland ermordet (Jesus war Jude!); durch Arbeitsverbote für Juden, die dazu führten, dass sie die Geschäfte erledigen mussten, die Christen im Mittelalter verboten waren: und das waren Geschäfte mit dem schnöden Mamon (ein Wort aus dem Jidischen). Im Laufe der Zeit führte das natürlich dazu, dass Juden zu den Wohlhabenden zählten, weil sie im Zinsgeschäft - wie eh und je - satte Gewinne machten. Wenn also in früheren Zeiten antijüdische Stimmung aufkam, so ist auch da ein psychologisches Verständnis möglich, denn wer nichts hat, neidet es dem, der in rauen Mengen hat.

Aber heute! Wir haben wenige Hunderttausend Juden in Deutschland, in zahlreichen Städten leben überhaupt keine Juden. Nur in einigen größeren Städten gibt es Synagogen. Koshere Läden findet man nahezu nicht. Klezmer-Musik stuft man unwissend in den Bereich Ethno oder neudeutsch Worldmusik. Bar Mizwa, Chuzbe, Schmock sind Worte, die vor 70 Jahren zum deutschen WOrtschatz zählten, die heute aber kaum noch einer kennt.

Wie kann es also sein, dass man trotz der Vergangenheit und trotz der fehlenden persönlichen Begegnungen Juden hasst?!

[...]

Da bin ich aber froeh, dass ich das nicht als einziger so gedeutet habe!

Ist doch schön, wenn man nicht alleine ist

Grüße, Andreas.



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Von: Bodo (Rang: Moderator)   Beiträge: 2722
Mitglied seit: 13.01.2002
Geschrieben am: 08.06.2002 um 13:31 (3064 mal angezeigt)   ( 1. Antwort auf aktuellen Beitrag)   Diesen Beitrag als Aktuellen nehmen
Am 2002-06-08 10:44 hat Kunstguerilla geschrieben:

Im Laufe der Zeit führte das natürlich dazu, dass Juden zu den Wohlhabenden zählten, weil sie im Zinsgeschäft - wie eh und je - satte Gewinne machten. Wenn also in früheren Zeiten antijüdische Stimmung aufkam, so ist auch da ein psychologisches Verständnis möglich, denn wer nichts hat, neidet es dem, der in rauen Mengen hat.

Genau. Soweit ganz klassisch.


Aber heute! Wir haben wenige Hunderttausend Juden in Deutschland, in zahlreichen Städten leben überhaupt keine Juden. Nur in einigen größeren Städten gibt es Synagogen. Koshere Läden findet man nahezu nicht. Klezmer-Musik stuft man unwissend in den Bereich Ethno oder neudeutsch Worldmusik. Bar Mizwa, Chuzbe, Schmock sind Worte, die vor 70 Jahren zum deutschen WOrtschatz zählten, die heute aber kaum noch einer kennt.

Wie kann es also sein, dass man trotz der Vergangenheit und trotz der fehlenden persönlichen Begegnungen Juden hasst?!

Das ist nicht das Problem. Du hast da einen falschen Ansatz.
Du sagst, Du (schreibt man das in zitierter Rede auch gross?) wunderst dich, das Menschen Juden hassen (nicht moegen?), ohne je mit Ihnen in Kontakt gekommen zu sein. Dieses Argument taete doch im Umkehrschluss nur dann Sinn machen, wenn Du den Kontakt mit Juden als Argument dafuer sehen wuerdest, sie zu hassen. Schliesst das nicht implizit ein, dass real erlebte Juden etwas an sich haben, was Anlass gibt, sie nicht zu moegen?
Sonst macht das Argument zur Unterscheidung doch keinen Sinn.
Mal abgesehen von ein paar verwunderlichen Traditionen (wie kann man z.B. auf die Idee kommen, seinen Kindern einen Teil vom Pimmel abzuschneiden um ihn im Garten zu vergraben?) gibt es dafuer aber keinen Grund.

Warum also gegen Juden? Na weil es erfolgsversprechend ist! Wenn man auf der Duche nach einem Opfer oder Buhmann ist, dann nimmt man sich natuerlich die, die frueher schon gute Opfer oder Buhmaenner abgegeben haben. Das die Leute diese Ziele nicht kennen, erleichert die Sache sogar, weil wo kein anderes Wissen da ist, kann viel einfacher falsches Wissen eingefuellt werden.

Ich behaupte: koennte man einen perfekten Schnitt in allen Gedaechnissen machen und dabei alles tilgen, was das bisherige Verhaeltnis von Nicht-Juden und Juden betrifft, waere das das Ende des Antisemitismus.



Deswegen finde ich, und das setze ich jetzt optisch etwas ab, damit Du obigen Absatz davon unabhaengig betrachten kannst, unsere meist sehr verkrampfe Art der Vergangenheitsbewaeltigung haeufig eher schaedlich als dem Zusammenleben foerderlich (z.B. das bei uns eine Kritik an einer juedischen Person meisten sofort zum Antisemitismus hochgebauscht wird).
Das macht erstens mal eine offene Auseinandersetzung unmoeglich und versetzt zweitens die Juden (die dann haeufig nicht mal selbst zu Wort komme) immer wieder in eine Opferrolle. Und Opfer sind das, was Taeter suchen.
Und bei vielen, denen diese staendige Sonderbehandlung aufstoesst, fuehrt das zu Resistments (genaue Schreibweise unbekannt, wird auf jeden Fall franz. ausgesprochen), welche der Naehrboden fuer mehr oder weniger latenten Antisemitismus ist.

Dem Antisemitismus den Naehrboden zu nehmen heisst, Juden genau so wie alle anderen zu behandeln. Nicht als potentielle Opferlaemmer, die von uns beschuetzt werden muessen, sondern als Maenner, Frauen und Menschen so wie wir Maenner, Frauen und Menschen sind. D.h. man darf ueber sie Witze machen ohne deswegen antisemitisch zu sein (so wie wir ueber Deutsche, Katholiken, Campingbusbesitzer oder Fussballer Witze machen), man darf sie kritisieren ohne antisemitisch zu sein (so wie wir es bei jeder anderen Nationalitaet, Religion oder Berufsgruppe auch tun) und den ganzen Rest der Palette.

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